Phänomen Kulischwund

Das Phänomen Kulischwund ist ja immer noch gänzlich unerforscht.

Ist übrigens auch einer der Beweise, warum sich unsere Welt eben doch nicht komplett digitalisiert. Kulis verschwinden ganz analog.

Ich kaufe ein-, zweimal im Jahr einen Schwung Kulis, die kommen bei mir auf dem Schreibtisch in die Stiftebox, wenn es sehr viele sind, auch als Vorrat in die Schreibtischschublade – und sobald der Vorrat aufgefüllt ist, beginnt er augenblicklich zu schrumpfen. Der Klimawandel scheint nicht schuld zu sein (obwohl, weiß man’s?). Eher zutreffend ist wahrscheinlich der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, demzufolge die Entropie, also umgangssprachlich gesagt die Unordnung jedes Systems unaufhörlich zunimmt, sofern dem System keine Energie von außen zugeführt wird. Zwar führt auch dieser Satz nicht zu den Ursachen des Problems, aber er beschreibt zumindest die Dynamik recht gut. Also zurück zum konkreten Beispiel: Treiber des beschriebenen Entropieverlusts scheinen (Arbeitshypothese!) in erster Linie andere Haushaltsmitglieder zu sein, bei denen sich aus bislang unerforschten Gründen (Sozialforschung ist aufwendig!) die Überzeugung durchgesetzt zu haben scheint, dass besonders die Stiftebox auf Papas Schreibtisch immer zuverlässig gefüllt ist. Es gibt auch noch andere Stifteboxen im Haushalt, so ist es ja nicht. Beispielsweise steht eine weitere (sogar etwas größere) Stiftebox auf dem kleinen Sideboard im Esszimmer, und eigentlich sollte auch ein Stift an einer Schnur an der Pinnwand hängen. Aber aus bislang ebenso unerforschten Gründen (wie gesagt, die Kosten!) sind die beiden Subsysteme „Sideboard“ und „Pinnwand“ noch stärker von der Entropiezunahme betroffen als das Subsystem „Papas Schreibtisch“. Was zumindest für das Subsystem „Pinnwand“ leicht erklärlich ist, denn da dieses ja nur aus n=1 Kulis besteht, geht seine Entropie schon bei Abhandenkommen des einen Kulis gegen Unendlich. Anders sieht es mit dem Subsystem „Sideboard“ aus, dessen Volumen je nach Art der Befüllung bis zu ca. 30 Stifte umfasst. Trotzdem nimmt auch dessen Entropie ständig zu, und das auf ganz spezielle Weise: Es lässt sich hier eine besondere Art der Entropie beobachten, eine Art qualitativer Entropie,  falls es das gibt. Aus dem Subsystem „Sideboard“ verschwinden nicht einfach Stifte, sondern die Box bleibt stets weitgehend gefüllt, während allerdings die Qualität der Stifte permanent abnimmt. Irgendwann enthält das Subsystem nur noch abgebrochene Bleistifte, Kulis mit leergeschriebener Mine, Stabilos ohne Tinte sowie einen einzigen funktionsfähigen schwarzen Filzstift, der aber so dick ist, dass man mit ihm keinen Einkaufszettel schreiben kann, es sei denn, man nähme ein DIN A 3-Blatt. Das aber passt nicht mehr ins Portemonnaie. Es scheint also in dem Gesamtsystem „Kulis im Haushalt“ ein dynamisches Gleichgewicht zu herrschen: Nur wenn dem Subsystem „Papas Schreibtisch“ permanent Energie in Form neuer Kulis zugeführt wird, kann die Entropiezunahme der Subsysteme „Sideboard“ und „Pinnwand“ ausgeglichen und eine Entropiezunahme des Gesamtsystems verhindert werden.

Völlig ungeklärt ist dabei allerdings bislang noch, wohin die Kulis eigentlich verschwinden. Further research is needed.

Korrektorat und Lektorat Martin Rasper
Autor dieses Gastartikels Martin Rasper

Eine Antwort auf „Phänomen Kulischwund“

  1. so ein Glas mit immer schlechter werdenden Stiften haben wir auch – griffsicher erwische ich immer ein Exemplar, was ausgetrocknet oder stumpf ist, besonders wenn ich Geburtstagskarten mit fröhlicher bunter Schrift schreiben will!

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